Eine schicksalhafte Liebeszene
Im
Jahre 1965 nahm in einem kleinen Dorf im Osterzgebirge zum Schuljahresbeginn
eine neue Lehrerin ihren Schuldienst in der Mittelstufe auf. Sie war jung,
ungebunden, wie es damals hieß, etwa 32
Jahre alt, groß, gut gebaut und eines der hübschesten Fräuleins im Ort.
Wir
Jungs, die bei ihr Mathematik hatten, freuten uns bei solch einer
Klasse-Lehrerin Unterricht zu haben. Die anderen Jungs, vor allem die, aus den
höheren Klassen fragten uns manchmal nach ihr, woraus ich schlussfolgerte, dass
sie wohl neidisch waren. Hihihi!
Wie
überall im Leben, merkten wir in unserer Klasse bald, alle angenehmen Dinge
haben auch ihre Schattenseite. Sie ging ziemlich streng mit uns um. Später war
sie nur noch nett, oder verstand nur dann Spaß, wenn wir „lieb“ waren. So etwas
hält doch keiner auf Dauer aus! Das Blödeste an unserer attraktiven Lehrerin
war jedoch ihr Freund. Es wäre vielleicht etwas anderes gewesen, wenn sie ihn
mit hier her gebracht hätte. Nein, er stammte aus dem Nachbarort, einer kleinen
Klitsche, genauer gesagt, nur einem Ortsteil unserer Gemeinde.
Meiner
Meinung nach, kam er viel zu oft herüber und zeigte sich überall mit ihr.
Händchen haltend! Wie im Kindergarten! Die beiden waren auch bei den
Erwachsenen das Gesprächsthema Nummer 1. Es hieß: Die neue Lehrerin, Elke
Neumann und Heimanns Seppl der Treckerfahrer. Naja! Ob das was wird?
Meine
Paten-Tante Frieda – unsere Hauswirtin - kam an einem sommerlichen Samstag,
gegen Mittag außer sich nach Hause gelaufen und erzählte jappsend meiner Mutter.
Sie
war Wäsche mangeln und hatte sich dabei mit Leuschkes Linda, unserer
Dorfzeitung über die neue Lehrerin unterhalten. Auf dem Heimweg musste sie an
deren Wohnung vorüber, schaute natürlich interessiert nach oben und da sah sie
das, was sie so erhitzte. „Jetzt poussiert die Neumann Elke beinahe nackich auf
ihrem Balkon mit dem Kerl – Na, Du weißt schon, wen ich meine - herum und das
in aller Öffentlichkeit. Unglaublich! Was sollen denn die Kinder da bloß
denken? Und vor allem, was können sie von der da schon lernen?“
Obwohl ich schon 11 Jahre alt, also kein kleines Kind mehr war, hätte ich ihr das
sagen können. Ich ließ es jedoch bleiben. Anstatt dessen sauste ich sofort,
voller Neugier mit dem Rad in einem Affenzahn zu meinem Schulkumpel Holger, der
in direkter Nachbarschaft zur Lehrerin wohnte, um zu sehen, was da passiert.
Ich erzählte ihm atemlos, dass die schnuckelige Lehrerin nackig irgendwas auf
dem Balkon macht. Also schlichen wir beide zum Holunderbusch, der über die
Grundstückmauer ragte und kletterten soweit nach oben, dass wir gerade über die
Brüstung lugen konnten. Obwohl die Deckung gut war, trauten wir uns nicht
weiter und sahen daher kaum etwas von den beiden. Die Phantasie schmückte die
Szene in unseren Köpfen sicher entscheidend aus. Ich konnte also das Fräulein
Neumann mehr erahnen als durch das Blattwerk deutlich erkennen. Heute meine ich
sie wirklich ganz gut gesehen zu haben.
Sie trug eines dieser neumodischen Bikinis, weiß mit
kleinen Blümchen. Naja! Nackig war sie nicht. Da hatte die Tante übertrieben. Aber
trotzdem sah sie einfach toll aus und dann noch diese sportlich gebräunten Arme
und Schultern.
Die zwei saßen sich ganz nah gegenüber und waren
miteinander beschäftigt. Sie hielten sich an den Händen und sprachen leise,
glucksend miteinander. Das heißt, sie tuschelten sich gegenseitig etwas ins Ohr und kicherten kindisch darüber.
Es war leider kaum etwas zu verstehen. Dann schauten sie sich lange schweigend
in die Augen. Bis plötzlich Bewegung in beide kam und sie sich ausgiebig
küssten, richtig mit Umarmung und sogar mit Zunge.
Holger und mir vielen beinahe die Augen heraus. Aber es kam nicht dazu; denn der Kerl schob
sich vor sie ins Bild. Sie verschwanden beide nach unten aus dem Sichtfeld. Dadurch
war überhaupt nichts mehr zu erkennen. Es war zum Verzweifeln. Eifersucht und
Empörung packte uns nun. Mein Kumpel flüsterte noch gepresst: „Hast Du gesehen?
Der ist ja hinten am Kopf fast kahl!“ „Und eine Wampe hat der auch!“ fügte ich
mit Genugtuung hinzu. “Was ist denn nun los? Was machen die denn da auf dem
Fußboden? Der soll sich in sein Dorf scheren und sich da um die Hühner
kümmern!“
Man
muss wissen, unser Dorf lag im „Tal der Ahnungslosen“! Vielleicht hatte das es
etwas damit zu tun, dass sich unsere Leute ein wenig provinziell benahmen. Wir
fühlten uns aber gar nicht so.
Die Welt ist ungerecht! Es war bitter, nichts gegen
den doofen Seppl aus dem Nachbardorf unternehmen zu können. Diese
Machtlosigkeit, einfach bitter! Darüber waren wir uns absolut einig. Der ist halt älter und stärker. Eins tröstete
uns ein wenig: Irgendwann ist der alt, aber wir noch nicht. Dann werden wir
stärker sein! Und dann soll er mal kommen!
Ich wusste von Holger, seine Schwester ging mit Seppls
Schwester in eine Klasse. Die hatte ihr erzählt, dass die beiden Verliebten
sich schon lange kennen, angeblich von Berlin her, aus der Hauptstadt. Na, das war ja klar! Bei so was können wir
natürlich nicht mithalten. Wie kommt so einer überhaupt dahin? Das wussten wir
nicht.
Wie seine Schwester weiter erzählt hatte, litt er
unter ganz schlimmem Schweißfuß!
Recht so! Das war noch etwas, das man ihm ankreiden
konnte.
Da half es ihm auch nicht, dass sein wirklicher
Vorname „Joseph“ lautete. „Seppl“ war nur sein Spitzname. Egal! In unseren
Augen war sein Ansehen so oder so im Eimer!
Warum erzähle ich Euch diese Geschichte? Die
Ereignisse wirkten sich möglicherweise auch auf mein weiteres Leben aus; denn
ich konnte Neumanns Elke danach gar nicht mehr so richtig leiden. Wahrscheinlich brachte ich das ihr gegenüber
auf die eine oder andere Weise zum Ausdruck. So richtig überrascht war ich
daher nicht, als ihre Freundlichkeit und die erhoffte Zuwendung mir gegenüber
in Stocken geriet. Das wurde mir geradezu schmerzlich klar, als beispielsweise
herauskam, dass ich die anderen angestiftet hatte in der Pause eine kleine Ode
an ihre “Hübschichkeit“ mit Kreide auf die Klassenzimmertafel zu schreiben.
Vorsorglich schrieb jeder Junge ein Wort, um zu vermeiden, dass sie unsere
Handschrift erkannte. Ein oder zwei mutige Mädchen beteiligten sich ebenfalls
daran.
Der Text ging so:
„Bei
Regen, oder Sonnentag,
ob
Wolken oder Hagelschlag,
gleichgültig,
wie das Wetter ist,
es
kräht der Hahn stets auf dem Mist:
„Keine
Rose, keine Nelke
ist
so schön, wie Seppls Elke!“
Alle Vorkehrungen waren umsonst. Ohne nur einen Augenblick zu zögern, als sie
anstatt des vorbereiteten Tafelbildes unser kleines Kunstwerk entdeckte, rief
sie energisch: „Joachim! Du wischst sofort die Tafel ab!“.
Ich fand es allerdings übertrieben, wenn sie mir
danach in Mathe meist nur eine 3 gab. Glücklicherweise hatten wir bei ihr nur
dieses eine Fach, eventuell auch noch Musik.
Wer weiß das heute noch so genau?
Bald fand ich keinen rechten Gefallen mehr an ihrem
Unterricht, wollte sogar einem Beruf, möglichst ohne Mathematik ergreifen und schleppte
mich dennoch ganz gut durch das Abitur. Nur in einem Fach lief es allerdings nicht
so prickelnd.
Irgendwann kam mir doch die Erkenntnis, Naturgesetze
kann man nicht ignorieren!
So ein Vorhaben bringt nichts, sondern schadet
eher.
Von da an konzentrierte ich mich darauf, studierte danach
und wurde schließlich - was denkt Ihr? Mathematiklehrer?
Nein! Wir sollten doch fürs Leben lernen, nicht für
die Schule!
Inzwischen arbeite ich seit über 20 Jahren als Vermittler
für private und gewerbliche Versicherungen und wir können gut miteinander
leben, meine Mandanten und ich.